Der junge Quartiermeister Q sitzt neben James Bond auf einer Bank in der National Gallery in London. Sie schauen auf das beeindruckende Gemälde des Malers William Turner „The fighting Temeraire“, einem Kriegsschiff, abgeschleppt auf seiner letzten Fahrt Richtung Schiffsfriedhof. Während Q ergriffen und wortreich seine Wahrnehmung dieses bedeutenden Kunstwerks schildert, kommentiert James Bond trocken: „Ich sehe ein Schiff und noch ein Schiff.“
Als ich bei der Rodgau Art ausgestellt habe, hatte ich das Glück, dass meine Bilder zweimal durch den Kunstdezernenten Winno Sahm besprochen wurden. Er macht das immer so, streift durch die Ausstellung, pickt für jeden Ausstellungstag einige Gemälde raus, die er einer Gruppe von Kunstinteressent*innen aus seiner Sicht vorstellt. Der Pulk von Menschen folgt ihm interessiert, während er charmant, wort- und kenntnisreich über die ausgewählten Bilder referiert. Eines meiner Gemälde hatte keinen Titel und er kommentierte das mit der Bemerkung, solche Bilder würden ihn von der Deutungshoheit befreien, er könne es auf eigene Faust entdecken.
Wie bei Q und James Bond stehen hier zwei Ansichten konträr gegenüber: Kontext ja oder nein?
Ein Bild ist doch nur Farbe auf Leinwand. Oder?
Vor Jahren stellten wir uns in einer Kunstgruppe einer malerischen Aufgabe. Vielleicht war es ein Jahrestag, ich weiß es nicht mehr, jedenfalls nahmen wir uns das Thema „Anne Frank“ vor.
Von Anne Frank kennt man in erster Linie ihr Portrait und ihr kariertes Tagebuch. Ich bin keine Portraitmalerin und wollte ihr Gesicht auch nicht zum millionsten Mal kopieren. Daher suchte ich eine andere Herangehensweise. Ich suchte mir die Orte, an denen Anne lebte. Es waren ihr Geburtsort Frankfurt, ihr Fluchtort Amsterdam und das Konzentrationslager, an dem ihr ihr junges Leben genommen wurde: Bergen-Belsen. Ich schaute mir diese Orte auf Google Maps an und brachte die geografischen Eigenarten dieser Plätze auf die Leinwand. Grüne Flächen, Straßen, die wie Lebenslinien wirkten und Häuser, die in der Vogelperspektive plötzlich das Karo ihres Tagebuches aufgriffen. Das alles frei abstrahiert und ohne Anspruch auf Realitätsnähe und trotzdem mit starkem Bezug auf das, was man an Visuellem von Anne Frank kennt.
Diese drei Bilder, ein harmonisches Triptychon, stand für bestimmt 10 Jahre unangetastet in meinem Lager. Weil ich zwar die Thematik und deren Umsetzung mochte, aber wusste, die Bilder sind nicht stark genug!
Wenn mir ein Bild nicht mehr genügt, übermale ich es. Anders hier. Ich hatte es selbst mit (schwerer) Bedeutung aufgeladen, die es mir nahezu nicht erlaubte, es mit einem womöglich leichten Thema zu übermalen. Kürzlich habe ich es dennoch getan: Mit massivem Pinselduktus habe ich dominante dunkelblaue Akzente gesetzt. (Habe ich schon erwähnt, dass es Mut braucht, ein Bild zu malen? Die blauen Flächen waren definitiv eine mutige Herausforderung.)
Aber es ist gelungen! Bewusst wurde es mir durch Bemerkungen von Menschen, die den Kontext nicht kannten, die frei waren von jeglicher Deutungshoheit. Sie implizierten einen Kampf zwischen Gut und Böse.
Keine leichte Kost – aber genau treffend im Kontext des Themas.Das sind die 3 Bilder, über die ich hier geschrieben habe. Leider schief aufgenommen während meiner Ausstellung im Juli in Berlin. Definitiv anders, als die Gemälde, die Sie bisher von mir kennengelernt haben, aber mit einer starken Präsenz.